Busbahn oder Straßenbahn?

Im Jahre 2008 gab die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen eine neue Planungshilfe mit dem etwas seltsamen Titel „Hinweise zu Systemkosten von Busbahn und Straßenbahn bei Neueinführung“ heraus. Das Papier wurde vom „Arbeitskreis Bussysteme hoher Kapazität“ unter der Federführung von Dr.-Ing. Volker Deutsch, Bergische Universität Wuppertal, erarbeitet (1).

Hinter dem Titel verbirgt sich ein Vergleich der Einführungs- und der jährlichen Betriebskosten von Straßenbahn und Bus. Dabei wird unter „Bus“ kein Verkehrsmittel im herkömmlichen Sinne verstanden, sondern ein in betrieblicher Hinsicht der Straßenbahn ähnliches Verkehrssystem mit dieselbetriebenen Großraumbussen, welches auf einer vom Autoverkehr unabhängigen Eigentrasse (Bahn) geführt wird und daher in Bezug auf Fahrgeschwindigkeit und Störungsfreiheit einem modernen Straßenbahn-system vergleichbar ist. Derartige Busbahnsys-teme wurden in Europa bisher nur in geringer Zahl realisiert (z. B. Eindhoven, Rouen, Nantes).

Die Verfasser legen ihrem Vergleich das fiktive Fallbeispiel eines 20 km langen Netzes mit zwei Durchmesserlinien, die durchgängig auf einer Eigentrasse (besonderer Bahnkörper) verkehren, zugrunde. Es kommen 25 Meter lange Doppelgelenkbusse bzw. 28 Meter lange Niederflurtriebwagen gleicher Kapazität zum Einsatz, so dass sich beide Systeme in Bezug auf die Bedienungshäufigkeit und damit Fahrzeug-anzahl und Fahrpersonalkosten nicht unterscheiden. Berechnet und verglichen werden nun die Investitionen in den Bau der Trasse inkl. Betriebshof und die Beschaffung der Fahrzeuge sowie die Kosten des laufenden Betriebs (Energie, Instandhaltung, Personal).

Der Systemvergleich wird sehr detailliert und gut nachvollziehbar dargelegt. So kann der Leser selbst ermitteln, wie sich Veränderungen in den Ausgangsgrößen, beispielsweise beim Diesel- oder beim Strompreis, auf das Ergebnis auswirken. Durch zahlreiche Farbabbildungen wird eine hohe Anschaulichkeit erreicht.

Die Verfasser kommen zu dem Schluss, dass das System Busbahn der Straßenbahn aus betriebswirtschaftlicher Sicht eindeutig überlegen ist. Der Investitionsaufwand liegt bei 60%, die jährlichen Vollkosten der Betriebsführung (also variable und fixe Kosten) bei zwei Drittel dessen, was für ein Straßenbahnsystem aufzuwen-den ist.

Vergleich stimmig?

Es ist zunächst einmal nicht überraschend, dass eine Straßenbahn bei gleicher Fahrtenhäufigkeit teurer ist als ein Bus, und sei es auch ein XXL-Bus mit Eigentrasse. Es kommt auf die zu bewältigenden Fahrgastzahlen an. Die Verfasser sehen die Aussagekraft des Vergleiches im oberen Bereich der Leistungsfähigkeit des Doppelgelenkbusses und geben diesen mit 2.300 Fahrgästen je Richtung in der Spitzenstunde an (145 Plätze bei 4 Personen je m² Stehfläche x 20 Fahrten je Stunde bei einem 3-Min.-Takt x 80% = 2.320). Lässt sich auf Grund von Störeinflüssen nur ein 4-Min.-Takt verwirklichen (ansonsten Gefahr von Pulkbildungen), sinkt der Wert auf 1.700 Fahrgäste.

Nachfragebündelungen dieser Größenordnung werden normalerweise nur in Großstädten mit über 500.000 Einwohnern erreicht. In dieser Kategorie gibt es in Deutschland 15 Städte, von denen nur eine - Hamburg - derzeit (noch) straßenbahnfrei ist. Den Westteil Berlins kann man getrost hinzuzählen. Allerdings werden in beiden Städten die Haupttrassen durch leis-tungsfähige S- und U-Bahnen bedient. Selbst die Hamburger MetroBuslinie 5, auf der Doppelgelenkbusse im 5-min-Takt unterwegs sind, erreicht „nur“ 1.700 Fahrgäste am höchstbelegten Querschnitt. Man stellt sich unwillkürlich die Frage, ob es dann in Deutschland überhaupt noch Anwendungsfälle für die Straßenbahn gibt, wenn selbst die vielleicht stärkste Buslinie hierzulande die Messlatte reißt.

Einwände

Allerdings sind die Annahmen der Verfasser kritisch zu hinterfragen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) empfiehlt, die Kapazität eines Fahrzeugs im Mittel aller Fahrten der Spitzenstunde in Lastrichtung nur zu 65% auszunutzen. Damit soll einerseits der Komfortanspruch der Fahrgäste berücksichtigt und andererseits der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das Fahrgastaufkommen auch innerhalb der Spitzenstunde Schwankungen unterliegt. Die Erfahrungen zeigen, dass sich oberhalb von 65% deutliche Überfüllungstendenzen mit allen negativen Begleiterscheinungen (lange Haltezeiten, Pulkbildung etc.) bemerkbar machen. Die 80%-Annahme der Verfasser ist demzufolge praxisfremd. Legt man die VDV-Empfehlung zugrunde, schafft der Doppelgelenkbus je nach Takt „nur“ 1.400 bis 1.900 Fahrgäste je Stunde. Aber selbst dies ist eine hohe Messlatte für die Straßenbahn (2).

Der Systemvorteil der Straßenbahn, durch längere Zugeinheiten mit weniger Fahrten auszukommen und dadurch Personalkosten zu sparen, wurde von den Verfassern berücksichtigt. Selbst in diesem Fall liegt das System Busbahn noch vorn, wobei der Abstand zur Straßenbahn bei den Betriebskosten von einem Drittel auf ein Viertel schmilzt. Die größere Fahrtenhäufigkeit des Busses kann man aus Fahrgastsicht zunächst einmal als Vorteil werten. In der Praxis würden solche dichten Takte jedoch daran scheitern, dass die Zugfolgezeiten in den zentralen Bereichen, wo sich mehrere Linien überlagern, nicht mehr beherrschbar sind. Hier verkehrt sich der Nachteil des Systems Straßenbahn in einen Vorteil.

Zwei weitere Annahmen des Vergleiches sind zu hinterfragen: die jährliche Fahrleistung sowie der Dieselpreis. Die Verfasser geben die Jahresfahrleistung je Fahrzeug mit 60.000 km an, während sie in großstädtischen Verkehrssys-temen in Wahrheit deutlich höher (meist oberhalb von 80.000 km) liegt. Diese Unterschätzung verzerrt das Endergebnis zugunsten des Busses, da somit auch die variablen Kosten (Energieverbrauch, Instandhaltung) unterschätzt werden - der einzige Kostenblock, bei dem die Straßenbahn besser abschneidet als der Bus.

Ebenso fragwürdig ist die Annahme zum Dieselpreis, der mit 1,00 Euro je Liter angesetzt wurde. Auch wenn Verkehrsunternehmen als Großabnehmer Rabatte von 5 bis 10% aushandeln können, sind solche Größenordnungen auf lange Sicht unrealistisch. Bügelt man diese Ungereimtheiten aus, schmilzt der Abstand zwischen Bus und Straßenbahn auf 10-15%.

Nicht betrachtet wurde die Erlösseite, d. h. es wurde das gleiche Nachfragepotenzial für beide Systeme angenommen. Schienen und Fahrleitung erzeugen aber als sichtbare Elemente des Systems ÖPNV eine Art Leistungsversprechen („Hier kommt bestimmt bald was vorbei!“), was sich in dem bekannten Schienenbonus und damit in höheren Fahrgastzahlen eines Straßenbahnsystems unter sonst gleichen Bedingungen äußert. Selbst bei einem O-Bus lässt sich ein solcher Bonus gegenüber herkömmlichen Dieselbussen allein durch die Sichtbarkeit der Fahrleitung (Fachbegriff: Routenvisibilität) nachweisen.

Die Verfasser des FGSV-Papiers vermuten, dass ein Busbahnsystem durch seine sichtbare Eigentrasse ebenfalls geeignet sei, einen solchen Bonus zu erzeugen. Einen überzeugenden Beweis müssen sie auf Grund zu weniger Anwen-dungsfälle allerdings schuldig bleiben. Gleiches gilt für sekundäre Nutzen wie z. B. Immobilienwertsteigerungen im Umfeld der neuen Trasse. Immerhin konnte der 2006 eröffnete BusWay im westfranzösischen Nantes selbst die Fahrgast-prognosen für eine ursprünglich dort geplante Straßenbahnlinie übertreffen, was aber nicht heißt, dass die Erfolgsgeschichte mit der Straßenbahn nicht noch glänzender ausgefallen wäre.

Weiche Faktoren werden am Rande erwähnt aber nicht bewertet, wie z. B. die Möglichkeit der ästhetischen und ökologischen Gestaltung von Straßenbahntrassen mit Rasengleis, die in gleicher Weise mit der Asphalt- oder Betonpiste einer Bustrasse nicht möglich ist. Ein Bussystem benötige dafür keine Fahrleitung, halten die Verfasser dagegen. Dies muss jedoch keinen ästhetischen Nachteil der Straßenbahn begrün-den, denn auch eine Fahrleitungsanlage inklusive der Masten kann sich harmonisch in das Gestaltungskonzept einer Trasse einfügen.

Schließlich ist anzumerken, dass der Kostenvergleich - wie schon der Titel besagt - nur für die Neueinrichtung solcher Systeme aussagekräftig ist. Damit dürften die praktischen Anwendungsfälle in Deutschland mit seinen ca. 60 Straßenbahnbetrieben begrenzt sein. Hier stellt sich die Frage nach dem passenden System nicht (mehr). Es geht allenfalls darum, neue Linien einzurichten oder bestehende zu verlängern und somit die bereits investierte Infrastruktur besser auszulasten.

Insgesamt sind die Einschränkungen in der Aussagekraft des Papiers somit doch recht erheblich, denn selbst dort, wo beide Systeme für die Neueinrichtung einer leistungsfähigen ÖPNV-Trasse in Betracht gezogen werden, dürften nur selten die idealtypischen Voraussetzungen des gewählten Fallbeispiels gegeben sein.

In Kürze

Die FGSV hat einen Systemkostenvergleich zwischen Bus und Straßenbahn auf eigener Trasse vorgelegt. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Bus aus betriebswirtschaftlicher Sicht deutlich überlegen ist. Allerdings sind die Grundannah-men des Vergleichs kritisch zu hinterfragen. Eine Tendenz zur Bevorteilung des Busses kann dem Papier nicht abgesprochen werden.

Quellennnachweise:

  1. FGSV: Hinweise zu Systemkosten von Busbahn und Straßenbahn bei Neueinführung. Köln 2008
  2. VDV: Verkehrserschließung und Verkehrsangebot im ÖPNV (VDV-Schriften 4). Köln 2001

Weitere Informationen:

  • Stefan Göbel: Zwei Jahre BusWay Nantes, in: Stadtverkehr 12/2008, Seite 6-11

 

Dieser Artikel von Ekkehard Westphal ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2009, erschienen. 

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.